Black Box Autobahn: Von den Geheimnissen des Fahrbahnrands

© Norbert Millauer
Als am 10. März in aller Herrgottsfrühe ein Lastwagen die Wand des Tunnels Dölzschen rammt und ein ausgewachsener Bagger auf die Fahrbahn fällt, sind die Operatoren in der Tunnelbetriebszentrale Dresden-Hellerau mit ihren Kamera-Augen live dabei. Und weil das so ist, rücken sofort Polizei und Feuerwehr zur Unfallstelle aus. Die Tunnelröhre wird abgeschottet. Verletzte gibt es keine.
Der Zwischenfall mit dem Bagger war der schwerste in den letzten Jahren im Tunnelsystem der Autobahn A17. Nicht nur die Wand wurde lädiert. Autobahntunnel, das sind Hochhäuser der Ebene, sagt Wolfram Damm. “Sie sind vollgestopft mit Sensorik und Steuerungstechnik.” Deshalb erwischt es bei einem Einschlag immer irgendwas, diesmal zwei Sichttrübungs-Sensoren und das SOS-Schild einer Notrufnische, außerdem LED-Module der Bordsteinbeleuchtung. Veranschlagter Schaden: um die 20.000 Euro.

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Die Autobahn, das ist mehr als graues Band, weiße Streifen, grüner Rand – so besungen von der Kultband Kraftwerk noch in den 1970ern. Die Autobahn ist heute auch eine Datenautobahn. Abertausende Stellen gibt es, an denen Informationen ankommen oder abfließen. Der Tunnel Coschütz an der A17 zum Beispiel, mit über zwei Kilometern etwa doppelt so lang wie sein Dölzschener Nachbar, besitzt um die 100.000 solcher Datenpunkte.
Der Elektro-Ingenieur Wolfram Damm sorgt dafür, dass es läuft auf der Datenautobahn. Der 60-Jährige leitet die Abteilung für Telematik, Leitzentralen und Fernmeldewesen bei der Autobahn GmbH, Niederlassung Ost. Sein Team ist zuständig für Bau und Betrieb der Leit- und Sicherheitstechnik von Görlitz bis hinter Magdeburg. Ein eigenes Übertragungsnetz, eng verwoben, ist der Grundstein dafür. Er will nicht prahlen, sagt Damm. “Aber unsere Infrastruktur nimmt es mit der Kapazität der Telekom spielend auf.”

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Wer eine Ahnung bekommen will, was die Autobahn abseits der Fahrspuren ausmacht, für den ist das Portal des Coschützer Tunnels, das unterhalb von Feldschlösschens Braukesseln etwa 50.000 Fahrzeuge am Tag verschluckt und ausspeit, eine gute Wahl. Wobei “Wahl” missverständlich ist. Auf eigene Faust darf niemand aufs Gelände, denn hier steht auch das Betriebsgebäude der untertägigen Verkehrsader, die Herzkammer sozusagen. Jede unbefugte Regung am Objekt würde die Polizei auf den Plan rufen.
Notrufsäulen trotz Handy unverzichtbar
Der Überblick ist grandios. Die entscheidende Komponente für Wolfram Damm aber ist unsichtbar: Kabeltrassen, die etwa anderthalb Meter vom Fahrbahnrand weg im Boden liegen. Nahezu hundert Prozent der Autobahntechnik arbeitet vernetzt. Egal ob Rauchmelder an der Tunneldecke oder Spülung im Klohäuschen – jedes Ding kann aus der Ferne überprüft, sein Status abgefragt werden. Durch Maschen im Netz sind eventuelle Störstellen umgehbar. “Es ist eine schnelle und sehr zuverlässige Kommunikation”, sagt Damm.

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Stichwort Kommunikation: Zwei Notrufsäulen stehen im Blickfeld, eine rechts, eine links. Wer braucht die klobigen Pfosten noch im Handyzeitalter? Mehr Menschen, als man denkt. Etwa 50.000 Hilferufe werden pro Jahr an deutschen Autobahnen über die 17.000 Säulen abgesetzt, sagt Wolfram Damm. Der Vorteil: Mit dem Anruf wird der Standort übertragen – Autobahn, Kilometer, Fahrtrichtung. Damm ist sicher, dass die Säulen bleiben, mindestens so lange, bis Notrufsysteme in den Autos der Standard sind. Nach seiner Prognose wird das noch zehn Jahre dauern.
Wenn der Durchblick schwindet
Links an der Böschung steht ein grauer Kasten mit Öffnungen, die gen Tunnelmund zeigen. Kein Blitzer, sondern ein Nebel-Detektor. Er kann benutzt werden, um bei schwindender Sicht automatisch das Tempo zu beschränken. Hier aber ist er eine Art Kontroll-Instanz gegenüber den siebzig Sichttrübe-Sensoren im Inneren des Tunnels: Ist Feuer ausgebrochen, oder zieht nur harmloser Dunst von draußen in die Röhre ein?

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Das Wetter ist wichtig für den Betrieb der Straße. Vor allem im Winter. Die Autobahn wird vom “Swis” überwacht, vom Straßenwetterinformationssystem. Diese Technik gibt es dreimal entlang der A17. Auf der Weißeritztalbrücke, also zwischen dem Coschützer und dem Dölzschener Tunnel, ist sie gleich doppelt verbaut. Das dritte “Swis” arbeitet am Erzgebirgspass bei Breitenau.
Wegen Kriegs: Livebilder von der Autobahn gestoppt
Praktiker sagen zum “Swis” einfach GMA. Glättemeldeanlage. Wolfram Damm hört das nicht gern. “Wir wollen die Glätte nicht melden, sondern sie verhindern.” Die Mess-Stationen, deren Bodensonden als blanke, münzenartige Scheiben auf der Fahrbahn zu erkennen sind, geben dem Autobahnmeister Hinweise. Vor allem diesen: Wie viel Auftaumittel muss die Räumkolonne auf die Straße bringen, damit die Feuchtigkeit dort bei der herrschenden Temperatur nicht zu Eis wird?

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Am Pfosten neben der Tunnelausfahrt hängt eine Kamera. Kameras gibt es in mehreren Varianten auf der Autobahn. Manche lassen sich schwenken und neigen, andere sind starr. Mitunter gibt es Infrarotleuchten dazu, damit das elektronische Auge auch bei Nacht sieht. An der A17 befinden sich etwa zwanzig Kamera-Standorte, entlang sächsischer Autobahnen insgesamt an die 200.
Bis zum Ausbruch des Ukrainekriegs waren die Aufnahmen via App öffentlich. Das ist vorbei, sagt Wolfram Damm, wegen der Sicherheit, speziell von Militärtransporten. Gespeichert werden die Bilder höchstens eine halbe Stunde. Wichtig für den Autobahnmeister sind ohnehin nur die Live-Ansichten, vom Verkehrsaufkommen oder von der Schneelage. Sie sparen Zeit und Fahrweg: “Nur was du siehst, auf das kannst du vertrauen.”

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Der Auftrag der Autobahn-Telematiker um Wolfram Damm ist es, die Technik zuverlässig am Laufen zu halten. Dabei kämpfen seine Leute gegen Korrosion, aber auch gegen den “Fluch der schnellen Technologie”, wie er es nennt. Updates und Hardware haben ein immer kürzeres Verfallsdatum. Mit Erhaltungsmanagement kämpfe man darum, “vor der Welle” zu bleiben.
Bei diesem Kampf bleiben Damm und Kollegen für die Öffentlichkeit weitgehend unsichtbar. Und das findet der Chef eigentlich ganz gut. “Wir treten nur dann ins Scheinwerferlicht, wenn etwas nicht funktioniert”, sagt er. “Und unser Anspruch ist, dass dieser Moment nie eintritt.”